Sehr geehrte Damen und Herren,
das Jahr 2020 wird uns allen in Erinnerung bleiben, als Jahr des Verlustes, als Jahr der Veränderung. Und das Jahr 2021 beginnt mit einem herunter gefahrenen Land, das mit Hoffnung und Skepsis in die Zukunft blickt. Aber neben der Pandemie, von der wir noch nicht wissen können, ob sie ihren Höhepunkt bereits überschritten hat, besteht auch die Klimakrise fort. Und von dieser wissen wir sicher, dass sie uns in den kommenden Jahren noch einiges abverlangen wird.
Die Pandemie hat auch in Leimen das Leben und die Wirtschaft durcheinander gebracht. Sie hat viele Pläne zerstört, Lebensentwürfe durcheinander gewirbelt, und Unternehmen an den Rand des Ruins gebracht. Sie hat uns auch in vielen Bereichen zum Einhalten gezwungen, dazu unseren Lebensstil zu hinterfragen, Verhaltensweisen zu verändern. Mit den anstehenden Impfungen besteht die Chance unser Leben im Laufe des Jahres 2021 wieder weitgehend zu normalisieren. In vielen Bereichen ist das notwendig und wichtig. Aber einfach so zum status quo ante zurück zu kehren kann nicht die Lösung für alle Aspekte unseres Lebens sein. Denn in vieler Hinsicht hat Corona Mängel aufgedeckt, die vorher in unserer Gesellschaft wenig beachtet waren.
Auch wenn uns unser Gesundheitssystem bisher gut durch die Krise geholfen hat, unsere Kranken gut versorgt waren und die Todeszahlen vergleichsweise niedrig, so hat sich doch gezeigt, wozu die Durchökonomisierung des Gesundheitssystems führen kann. Plötzlich wurden die Standorte von Pharmaproduktion, weltweite Lieferketten und geringe Lagerbestände wieder zu Themen. Deutlich vor Augen geführt wurde uns auch, dass der Grad der Digitalisierung in Deutschland sicher nicht dem entspricht, was einer führenden Industrienation angemessen ist. Ob beim Unterricht zuhause oder dem homeoffice, die immer noch löchrigen Glasfasernetze haben gezeigt, dass hier noch viel Arbeit vor uns liegt.
Gerade die Digitalisierung hat aber auch auf einem ganz anderen Gebiet Mängel offen gelegt. Selbst wenn alle technischen und organisatorischen Probleme einmal gelöst sind, stehen wir noch immer vor der Herausforderung, dass nicht alle gleichberechtigt teilhaben können. Die soziale Spaltung wurde in der Pandemie einmal mehr deutlich. Schüler*innen, die nicht die nötige technische Ausstattung haben, um zuhause zu arbeiten, die in einer engen Wohnung keinen ruhigen Arbeitsplatz finden, weil Geschwister deren KiTa geschlossen ist und Eltern die auf Kurzarbeit oder im homeoffice sind auch Raum beanspruchen, gehören zu den Verlierer*innen dieser Krise. Während wir mit Milliarden Flughäfen und Fluggesellschaften eine Zukunft verschaffen, werden hier Zukunftschancen verbaut. Auch in diesem Bereich müssen wir dringend unsere Prioritäten hinterfragen.
Es wird also klar, dass wir nicht einfach zurück auf Los gehen können und nach dem Ende der Pandemie dort weiter machen, wo wir Anfang des Jahres so rüde unterbrochen wurden. In den genannten Bereichen und weit darüber hinaus müssen wir uns besinnen, müssen wir andere Wege einschlagen. Das steht auch im Hinblick auf die zweite Herausforderung an, die ich anfangs meiner Rede genannt habe. So sehr wir momentan den Eindruck haben, dass Corona für viele von uns der größte Einschnitt in unser Leben sein wird, so wahrscheinlich ist es, dass die Klimakrise unser Leben noch weit mehr und wesentlich nachhaltiger verändern wird. Auch wenn die Pandemie in den Köpfen und den Medien im Vordergrund stand und steht, so waren auch in 2020 die Zeichen eines dramatischen Klimawandels nicht zu übersehen. Ebenso wenig kann man darüber hinweg sehen, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen auf keiner politischen Ebene bisher ausreichen. Der „Nachteil“ der Klimakrise gegenüber der Pandemie besteht darin, dass sie sich langsamer vollzieht und dass das Ursache-Wirkungs Verhältnis viel komplizierter ist. Ließe sich der Klimawandel mit einer einfachen AHA-Regel, die man ein paar Monate anwenden muss stoppen, so wären wir wohl schon weiter. Aber die benötigten Verhaltensänderungen sind wesentlich komplexer, und müssen vor allem dauerhaft sein. Was wirken könnte hat uns dieses Corona-Jahr gezeigt. Das Klima zählt – zumindest kurzfristig – zu den Krisengewinnern. Würden wir das was wir 2020 zwangsweise herunter gefahren haben bis 2030 so beibehalten, könnten wir sogar die Pariser Klimaziele erreichen. Doch das kann niemand auf diese Weise wollen und bezahlbar ist es auch nicht.
Schlimm für das Klima wäre aber, wenn wir die politischen und finanziellen Anstrengungen dieses Jahres als Ausrede benutzen würden, bei der Bekämpfung der Klimakrise einen Gang zurück zu schalten. Das Gegenteil muss der Fall sein, denn so wenig wie das Virus sich darum kümmert, dass es uns langsam lästig wird, so wenig kümmert es den Klimawandel, dass wir unser Geld gerade für etwas anderes ausgeben. Wir müssen aus der Corona-Pandemie sowohl als Gesellschaft, wie auch als Individuen anders heraus gehen als wir hinein gegangen sind, sonst werden wir den Kampf gegen die Klimakrise verlieren.
Das gilt für nicht nur für uns selbst, sondern für alle politischen Ebenen, von der Kommune bis zu den Vereinten Nationen. Es dürfen keine Entscheidungen mehr getroffen werden, bei denen der Klimaeffekt nicht berücksichtigt ist, und wenn eine Maßnahme sich nicht positiv auf die Klimabilanz auswirkt, dann muss sie überdacht werden oder unterbleiben. Die Zeit für halbe Sachen ist abgelaufen, und je länger wir jetzt noch warten, desto drastischer werden künftig die Schritte ausfallen müssen. Noch können wir unsere Wirtschaft ohne dramatische Einbußen klimaverträglich umbauen, schieben wir das auf stehen wir irgendwann vor derselben Frage wie bei Corona: Harter Lockdown auf allen Ebenen oder den gesellschaftlichen Preis für unsere Klimazerstörung bezahlen.
Noch stehen uns die Ressourcen für einen Wandel zur Verfügung. Je länger wir aber in falsche Technologien investieren und in bloße Reparatur ohne grundlegenden Richtungswechsel, desto mehr verschwenden wir Mittel, die wir dringend für den sozial-ökologischen Umbau brauchen. Eine Zeit des Neuanfangs ist immer auch eine gute Gelegenheit neue Wege einzuschlagen. Der Entwurf des Leimener Haushalts leistet das in weiten Teilen nicht. Noch immer stehen sowohl für das Jahr 2021 als auch in der mittelfristigen Finanzplanung Investitionen in dem Plan, die weder nachhaltig noch in anderer Weise sinnvoll sind.
Das hervorstechendste Beispiel dafür ist unseres Erachtens die immer noch geplante Tiefgarage in der Stadtmitte. Mit über vier Millionen ist sie im nächsten und den folgenden Jahren eingeplant. Kostensteigerungen sind zu erwarten, die benötigten neuen Räume für die Musikschule sind nirgends zu finden und die jährlichen Folgekosten für die fertige Tiefgarage sind noch nicht einmal irgendwo veranschlagt. Diese werden auch nach dem Bau den städtischen Haushalt auf Jahrzehnte hinaus belasten, denn keine kommunale Tiefgarage wird kostendeckend betrieben. Das einer Stadt zuzumuten, die ohnehin über ihre Verhältnisse lebt, ist schon aus finanzpolitischer Sicht völlig inakzeptabel.
Geht man davon aus, dass die Stellplätze für PKW in Zukunft tatsächlich in dem heutigen Umfang noch benötigt werden, dann ist eine Tiefgarage die teuerste und unflexibelste Lösung.
Tiefgaragenstellplätze kosten deutlich mehr als etwa ein modernes Parkhaus, wie wir es an der St. Ilgener Straße vorgeschlagen haben. Wir haben auch andere mögliche Standorte, zum Beispiel in der Nußlocher Straße neben dem Seniorenheim oder beim Schwimmbad ins Spiel gebracht, keiner davon wurde auch nur ernsthaft geprüft, zu sehr hat man sich in die Tiefgarage verbissen. Unflexibel ist sie, weil sie einmal gebaut, nicht mehr zu verändern ist. Der heute festgestellte Bedarf wird quasi in Beton gegossen, und noch nie wurde bei Mehrbedarf noch ein Stockwerk unter eine TG gebaut, oder ein Geschoss aufgegeben. Moderne Stahlbauteil Parkhäuser können dagegen leicht auf oder abgestockt werden, sodass man tatsächlich klein und günstig anfangen kann.
Das alles wird geflissentlich ignoriert und man schreitet sehenden Auges in das nächste finanzielle Desaster für unsere ohnehin schon arg gebeutelte Stadt. Dafür war man bereit an anderer Stelle zu sparen. Das Jugendhaus, das als Ersatz für die abgebrannten Container schon seit Jahren auf unserer Agenda steht sollte wieder einmal in die Zukunft verschoben werden. Von 800 000.- € auf Null gesetzt und nicht einmal mehr in der mittelfristigen Finanzplanung vorhanden. Damit hätte die Jugend den größten Beitrag zur Reduzierung der Neuverschuldung leisten dürfen, und das auf absehbare Zeit. Ein deutlicheres Bekenntnis gegen die Jugend kann man sich schwer vorstellen. Man lässt sie auf der Straße sitzen, regt sich dann darüber auf, dass sie auf der Straße sitzen und engagiert für teuer Geld private Sicherheitsdienste, die sie vertreiben. Zum Glück hat hier der Gemeinderat mit Unterstützung des Jugendgemeinderates interveniert, und konnte so Mittel für das kommende Jahr retten. Stand heute darf man zuversichtlich sein, dass spätestens in 2022 das neue Jugendhaus verfügbar sein wird. Aber die Erfahrung zeigt, dass hier weiterhin Wachsamkeit vonnöten sein wird.
Aber nicht nur die Jugend zählt in Leimen zu den vernachlässigten Spezies, auch dem Klimawandel setzt man hier bisher kaum etwas entgegen. Vor Jahren hat der Rhein-Neckar Kreis eine Vereinbarung mit den Kommunen getroffen. Der Kreis verpflichtete sich dazu in allen Kommunen Klimaberatung durch die KliBa anzubieten, und die Kosten dafür zu tragen. Die Kommunen ihrerseits verpflichteten sich bis Ende 2020 jeweils ein Klimaschutzkonzept zu erstellen. Der Kreis hat seine Zusage gehalten und so kommen auch Leimener Bürger*innen und das Leimener Gewerbe in den Genuss dieser Beratungen. Ende 2019, nachdem schon Jahre ohne erkennbare Bemühungen der Stadt ins Land gegangen waren, ihren Teil zu erfüllen, haben wir dringend nachgefragt und gefordert, dass die Stadt ihren Teil der Abmachung einhält. Nun haben wir Ende 2020 und noch immer ist nichts geschehen. Das zeigt, welchen Stellenwert der Klimaschutz in der Stadt besitzt, wenn man sich noch nicht einmal dazu aufraffen kann, ein Konzept zu erstellen, um überhaupt einmal feststellen zu können, wo denn Handlungsoptionen und -spielräume für die Stadt bestehen. Es drängt sich uns der Eindruck auf, als wolle man das gar nicht wissen, um nicht dem Druck ausgesetzt zu sein, auch tatsächlich etwas tun zu müssen.
Wiederum auf Nachfrage der GALL hat die Stadt nun festgestellt, was es kosten würde, wenn ein Klimaschutzkonzept in den Jahren 2021 und 2022 erstellt werden soll. Diese relativ bescheidene Summe konnten wir im Haushalt verankern, und so besteht die Hoffnung dass wir mit zwei Jahren Verspätung nach dem letztmöglichen Datum endlich etwas an der Hand haben werden, um auch kommunal zielgerichtet agieren zu können. So froh wir darüber sind, so traurig ist es, dass dieses zentrale Zukunftsthema innerhalb der Stadtverwaltung eine so geringe Rolle spielt.
Während die Zukunft also verschlafen wird, hängt man an anderer Stelle immer noch alten Zöpfen nach, die eigentlich längst obsolet sein sollten. So steht immer noch die Trauerhalle in Gauangelloch in der mittelfristigen Finanzplanung, obwohl jeder weiß, dass ein solches Millionenprojekt angesichts anderer dringender Maßnahmen und in Anbetracht der desaströsen Finanzlage der Stadt auf absehbare Zeit nicht umsetzbar sein wird. Damit hält man nicht nur eine Hoffnung aufrecht, die man Jahr für Jahr dann doch wieder enttäuschen muss, man verhindert auch, dass man sich mit realistischen Alternativen überhaupt auseinander setzt.
Zu den dringenden Maßnahmen der nächsten Jahre gehören nicht nur Investitionen in den Klimaschutz, die bisher in der Finanzplanung noch überhaupt nicht berücksichtigt sind. Dazu gehört auch das Thema Digitalisierung, das Dank der Zusammenarbeit mit dem Kreis zwar voran geht, bei dem aber noch viel Arbeit vor uns liegt. Auch das ist eine dringende Zukunftsaufgabe, gerade wenn wir davon ausgehen, dass es einen Trend zum homeoffice und zum office sharing gibt. Für Leimen, das sich zunehmend zur Schlafstadt entwickelt, können solche Trends positive Optionen für die Zukunft sein. Wer die Stadt zum arbeiten nicht mehr verlassen muss, produziert nicht nur weniger Verkehr, er lässt auch mehr Geld in der Stadt. Dazu braucht es aber ein flächendeckendes Glasfasernetz so schnell wie möglich.
Schulinfrastruktur, Ausbau von Radwegen und Fußgängerverbindungen, oder auch der soziale Wohnungsbau sind weitere Themen, die wir im Sinne einer zukunftsfähigen Stadt noch zu stemmen haben. Das alles angesichts einer dramatisch steigenden Verschuldung und eines nicht ausgeglichenen Haushalts. 2021 und die folgenden Jahre werden sicher keine einfachen werden, ganz besonders dann wenn sich möglicherweise in Land und Kreis die finanzielle Situation in der Folge von Corona und den nötigen Einsparungen nach der staatlichen Geld-Bazooka verschlechtert. Denn wir sind was unsere finanzielle Ausstattung angeht weitgehend von anderen abhängig. Auf uns selbst gestellt können wir kaum etwas bewegen.
Der vorliegende Haushaltsentwurf hat auf alle diese Probleme keine überzeugende Antwort. Daher
kann die GALL Fraktion diesem Haushalt nicht zustimmen.
Wir danken der Stadtverwaltung und insbesondere der Kämmerei für die zur Verfügung Stellung der wichtigen Zahlen und den dazu nötigen Erläuterungen, sowie unseren Kolleg*innen im Gemeinderat für die engagierte und intensive Diskussion.
Ralf Frühwirt